Die Waltringer Kapellengemeinde St. Marien
Die erste Kapelle
in Waltringen wurde im Jahre 1669 errichtet und es erscheint zunächst sonderbar, dass erst 24 Jahre später hierüber ein notarieller Vertrag geschlossen wird, der den einfachen Kapellenbau beurkundet.
Am Sonntag, dem 5. Juli 1693, zwischen acht und neun Uhr
vormittags erschienen in Werl vor dem Notrarius Joannes Schmell
in seiner dem Stadtwall nächst dem runden Thurme gelegenen
Behausung und Stuben aus dem Dorfe Waltringen, Amts Bemen,
die ehrsamen und bescheidenen Wilhelm Lüsse, Dietrich Hollmann,
Peter Keggenhoff und Ludolf Herting; sodann Kaspar Mimberg,
Schulte des adeligen Hauses Övinghausen – und bekannten sowohl
für ihren Kopf (ihre Person) als auch im Namen der Waltringer
Bauern und ihrer eigenen, daß sie aus einmütigem Belieben und
Willen aus Liebe Gottes und zu Ehren der Allerseligsten Jungfrau
Maria im Dorf zu Waltringen auf einem gemeinen Bauplatz aus
eigenen, des Dorfeingesessenen Mitteln eine Kapelle zwar gebauet
und dotiert; bis hierhin aber darüber kein „instrumentum fundationis“
(d. h. Gründungsurkunde) aufgerichtet hätten.
So wurde diese Urkunde
24 Jahre nach der Errichtung der Kapelle beim Notar im Beisein des Pfarrers Kampmann und der genannten ehrsamen und bescheidenen Waltringer Bauern erstellt, auf dass für die „Nachkömmlinge der Waltringer Bauern nichts in Vergess gerate“.
In der Urkunde heißt es weiter, dass der Kapelle zu Nutz und Frommen vier Morgen Ackerlandes beigegeben wurden und die „Pacht dieser Länderei betreffend thäte jeder Morgen an Platz einer Jahrespacht einen Goldgulden, der auch, solange die Kapelle bestanden, von jedem bezahlt worden“. So wird auch weiter bestimmt, wer und wie die geldlichen Mittel verwandt werden sollen.
Auf einem Grundstück von Heinz Severin, einem Eckgrundstück, welches an der Dorfstraße und der Straße nach Bremen liegt, entstand das erste Gotteshaus in den bescheidenen Maßen von 15 Fuß Länge und zwölf Fuß Breite. Das sind nach metrischem Maß 4,70 m x 3.76 m, was heute nicht einmal der Größe einer Autogarage entspricht. Der Chronist vermerkt, dass das Haus eine besonders schwere und mit Verzierungen versehene Eingangstür hatte und mehrteilige Fenster, die dem Gebäude ein sakrales Äußeres verliehen.
Als Patronin wählten sie die Allerseeligste Jungfrau Maria.
1854 entstand die zweite Kapelle
Waltringen zählte im Jahre 1854 rund 360 Einwohner. So war die bisherige Kapelle viel zu klein geworden. Außerdem hatte die Zeit an diesem bescheidenen Bauwerk ihre Spuren hinterlassen.
So schreibt Pfarrer Eickhoff, hier daselbst Pfarrer für den Bremer Pfarrbezirk und seine Filialkirchen, an das Generalvikariat in Paderborn, man möge die Erlaubnis erteilen, einen Kapellenneubau in Waltringen auszuführen. Die jetzige Kapelle sei nicht nur zu klein, sondern sie sei auch baufällig und darum kein würdiges Gotteshaus mehr.
Auf dem Hofgelände des Bauern Caspar Voss wurde dann der genehmigte Neubau dort errichtet, wo sich heute das Gefallenen-Ehrenmal befindet. Die Bauarbeiten gingen zügig voran, sodass schon am 13. April 1855 der Landdechant Nübel die feierliche Weihe des Gotteshauses vornehmen konnte.
Schon den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts war die Kapelle wiederum zu klein geworden. Ein Anbau konnte kurzfristig Abhilfe schaffen. Nach dieser räumlichen Erweiterung im Jahre 1923/24 durfte das „Sanctissimum“, das hl. Altar-Sakrament, ständig in der Kapelle aufbewahrt werden.
Die Baumaßnahme, die Ausstattung der Kapelle und der Ankauf aller sakralen Einrichtungen und Gegenstände bis hin zum feinsten Messgewand, waren Angelegenheit der Waltringer Bürger. Selbst hohe Beträge, so weiterhin für die würdige Instandhaltung des Gotteshauses, brachten diese auf, ohne dass jemals etwas seitens der hohen Geistlichkeit zu beanstanden gewesen wäre.
Es war ein fester Brauch
des Bremer Pfarrers Steinhoff (bis zum Jahre 1924), an 3 oder 4 Tagen im Jahr in Waltringen die hl. Messe zu feiern. Sein Gehilfe im Amt war ein Vikar Tebbe, der gar ein gestrenger Diener seines Herrn war. Die Chronik berichtet, dass der fromme Mann Ungezogenheiten im Religions-unterrichte ziemlich handgreiflich-derbe zu ahnden wusste. „Er schlug wahne druff“, wenn er böse wurde, hieß es.
Und bei den Fahrten von und hin zur Waltringer Kapelle ging es ihm immer zu langsam. Im Wechsel holten die Bauern Waltringens den eiligen Vikar in Bremen ab und fuhren ihn auch zurück.
Durch den Kauf eines gebrauchten Automobils des Pfarrers und Geist-lichen Rates Steinhoff wurde „der Eile des Vikar Tebbe“ insofern Rech-nung getragen, als dieser den kleinen zweisitzigen Klapperkasten chauffieren musste, wenn beide Herren gleichzeitig unterwegs waren.
Sollte der pferdelose knatternde Kutschwagen die Anhöhe der Haar nach Vierhausen hinauf, so reichten die wenigen PS nicht aus. Hier halfen die Waltringer „Jeuste“ in Klassenstärke. Auto, Pfarrer und der eilige Vikar waren bald wieder auf der Höhe. Es war wohl eine Gaudi in der damaligen Zeit, doch ließen es die Jungen fürderhin nicht an dem nötigen Respekt fehlen.
April 1945, das Ende des 2. Weltkrieges
fand direkt in Waltringen statt. Amerikanische Truppen des alliierten Expeditionscorps standen in Bremen. Sie kamen von Norden her und hatten die noch verbliebenen deutschen Einheiten der Heeresgruppe West im sog. Ruhrkessel eingekreist. Zunächst schossen die Amerikaner mit Panzern und leichten Feldhaubitzen nach Waltringen hinein. Die sich auflösenden Truppenteile der deutschen Wehrmacht hatten sich aber bereits nach Echthausen abgesetzt, die nun ihrerseits von dort aus in einem letzten verzweifelten und sinnlosen Rückzugsgefecht Waltringen unter Beschuss nahmen.
Während draussen einschlagende Granaten und Feuer verheerende Schäden anrichteten, saßen viele Bewohner von Sonntag, 8. April, bis Dienstag, 10. April 1945, bei Bauerdick (heute Tillmann) im Bunker und mussten um ihr Leben fürchten.
So fielen verschiedene Gebäude der völligen Zerstörung anheim, andere wiederum hatten erhebliche Schäden. So auch die Kapelle. Eine Wand wurde getroffen, doch das Gebäude blieb als solches stehen. Der alten Kapelle, die vor Zeiten zum Abbruch verkauft worden war, aber immer noch stand, machte eine Artilleriegranate den Garaus. Sie brannte völlig ab. Sie hatte all die Jahrzehnte als Werkstattraum gedient.
In diesem Chaos der letzten Kriegstage kamen auch russische und polnische Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter frei. Sie machten Waltringen und seine Umgebung unsicher. Sie stahlen und plünderten, sie hatten Hunger und – auch sie hatten den Krieg überlebt.
Dann kehrte die „große Stille“ ein.
Die Waltringer gingen daran, die Schäden an ihren Häusern, so gut es ging, zu beheben, doch es fehlte nach diesem schlimmen Kriege an allem. Auch die Kapelle wurde wieder instand gesetzt, sodass es möglich war, Gottesdienste zu feiern und der Schutzpatronin Maria dafür zu danken, dass man halbwegs mit heiler Haut davongekommen war.
Aller guten Dinge sind drei...
1953 wird die heutige dritte Kapelle gebaut
Weil die geldlichen Mittel fehlten, konnten notwendige Renovierungsarbeiten bis 1950 nicht gemacht werden, zumal die Waltringer Gemeinde mit den schweren Kriegsschäden reichlich eigene Sorgen hatte.
Doch zu dieser notwenigen Renovierung kam es nicht mehr. Die Waltringer Christgläubigen waren sich darin einig, dass das keine Dauerlösung sein konnte. Eine grundlegende Verbesserung der räumlichen Verhältnisse würde allein ein großzügiger, auch weit in die Zukunft ausgerichteter Kapellenneubau bringen.
Wie schon in früheren Zeiten, packten die Waltringer das Projekt mit Mut und Gottvertrauen zügig an.
Die Bauern Theodor Tillmann und Bernhard Luig-Peters stellten den Grund und Boden kostenlos zur Verfügung. 1953 begannen die Ausschachtungsarbeiten für Fundamente und ein Tiefpaterre unter dem Chorraum, in dem ein Jugendheim eingerichtet werden würde.
Mit Pferdefuhrwerken und ebensolche mit den aufkommenden Traktoren, wurde der Erdaushub von der Baustelle und die Anfuhr von Baumaterial zur Baustelle organisiert. Und wer irgendwie von der neuen harten DM schon etwas übrig hatte, steuerte diese bei.
Die bei Baubeginn errechneten Kosten lagen bei 98.000,- DM, doch bei der Schlußrechnung waren es dann 120.000,- DM geworden. Bei dieser stattlichen Summe war nicht einmal der großzügig geschenkte Baugrund bewertet.
Die Erzdiözese Paderborn beteiligte sich an den Gesamtbaukosten mit vergleichsweise bescheidenen 5.000,- DM.
So kann die Waltringer Bevölkerung sehr stolz darauf sein, dass sie die übrige Bausumme selbst aufgebracht hat. Wenn man dann noch die vielen Stunden des Handanlegens hinzurechnet, ist das eine höchst bemerkenswerte und aussergewöhnliche Leistung.
Am 23. August 1953 konnte bereits das Richtfest gefeiert werden und bei dieser Gelegenheit wurde auch der Grundstein gelegt. Die Bauherren, die Zimmerleute, viel Volk aus Waltringen und einiges aus dem Kirchspiele waren zugegen. Ebenso die hohe Geistlichkeit. Es wurden wohlgesetzte Worte des Dankes und der Zuversicht gesprochen und ein Dechant Berges erbat Gottes Segen und die Fürsprache Mariens, der alten und neuen Patronin der Kapelle.
Beides konnte man sicherlich gut gebrauchen.
Die feierliche Weihe des neuen Gotteshauses
Kurz vor dem Christfest des darauf folgenden Jahres, genau am 12. Dezember 1954, dem Sonntag „Laudate“, wurde die neue Kapelle durch den Paderborner Generalvikar Dr. Tuschen feierlich geweiht und dem religiösen Gebrauch übergeben.
Ein festliches Hochamt mit einer eucharistischen Prozession, bei dem das Allerheiligste von der alten zur neuen Kapelle gebracht wurde, war der eigentliche Höhepunkt der kirchlichen Feier. Der Männergesangverein „Eintracht“ Waltringen unter der Stabführung von Alfons Brumberg aus Wickede und dem Musikzug der Freiwilligen Feuerwehr aus Bremen unter der Leitung von Caspar Westhoff umrahmten den großen Gottes-dienst.
Es fehlten nur noch die Orgel und die Glocken.
Eine richtige Pfeifenorgel folgte im Jahre 1975 und drei wertvolle Bronzeglocken kamen 1982 in die Glockenstube, jedoch nicht bevor auch sie von den damaligen geistlichen Herren Pfarrer Josef Scholle, Vikar Klaus Korfmacher und dem Diakon Hans-Gerd Westermann den kirchlichen Segen erhalten hatten.
Quelle: Helmut Haase, Die Geschichte des Kirchspiels Bremen - 950 Jahre, 06/2000